Wer in mittelalterlicher Zeit sang, sang Volkslieder, deren Texte man auswendig kannte. Liederbücher waren nicht notwendig.
In den Kirchen sangen vor allem Priester, Mönche und Nonnen. Denen, die sonst an Messen und Gottesdiensten teilnahmen, war kaum eine aktive Rolle in der liturgischen Inszenierung zugedacht. Erst durch die Reformation änderte sich das.
Der Gottesdienst wurde in deutscher Sprache abgehalten und alle Anwesenden sollten nun aktiv teilnehmen, nicht nur die Pfarrer und Liturgen, die für Predigt und Lesungen zuständig waren. Dazu diente vor allem der Gemeindegesang. Entsprechend entstanden nun Choräle, zum Teil umgedichtete Volkslieder, zum Teil aber auch überarbeitete liturgische Gesänge mit ins Deutsche übertragenen Texten oder ganz neuen Texten.
Anfänglich druckte man – die erst ein gutes halbes Jahrhundert zuvor eingeführte Drucktechnik machte es möglich – die Liedtexte auf Flugblätter. Dann entstanden erste, kleinere Sammlungen von Liedern.
Als die früheste davon gilt das sogenannte Erfurter Ferbefass-Enchiridion, also ein Handbüchlein, das in einer Erfurter Druckerei mit dem Namen „Zum Ferbefass“ gedruckt worden ist.
Bei solchen Gesangbüchlein handelte es sich natürlich um einen Gebrauchsgegenstand, der nicht dazu bestimmt war, die Jahrhunderte zu überdauern. Andreas Gronewalt aber, der ursprüngliche Besitzer der Marktkirchen-Bibliothek, hat auch dieses schmale Heft von einem Buchbinder in eine Sammlung verschiedener Schriften einbinden lassen.
Erst im 19. Jahrhundert wurde es dort wieder herausgelöst, weil man anfing, sich für die Geschichte der Kirchenchoräle zu interessieren.
Mittlerweile ist auch der Band wiederentdeckt, in dem das Enchiridion die Jahrhunderte überdauert hat: Rostspuren am dünnen Einband wiesen darauf hin, dass es einmal in einen Band eingebunden war, der durch eine Kette vor Entwendung gesichert worden war.
Das Erfurter Ferbefass-Enchiridion zählt sicher zu den wertvollsten Schriften, die in der Marktkirchen-Bibliothek aufbewahrt sind, ist es doch das weltweit einzige Exemplar, das von diesem ersten Gesangbuch erhalten geblieben ist.
Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, besuchen Sie ab 2020 die Marktkirchen-Bibliothek im Kulturmarktplatz Goslar.